Stilgefühl für Atmosphärisches

WIESBADEN . Der Fantasie freien Lauf! So dachten 15 Autorinnen und Autoren, die ihrer Heimatstadt Wiesbaden ein luftiges Denkmal setzen wollten. Diesmal eben kein Krimi aus der Gruppe "Dostojewskis Erben", sondern jedes Genre, jedes Sujet, alle literarischen Möglichkeiten nutzen für eine kleine, leichte Geschichte. Dostojewski aber kommt auch vor.
Die im Raum bekannten Schriftstellerinnen Susanne Kronenberg und Christiane Geldmacher entwickelten die Idee ursprünglich für ein E-Book. Die Rückmeldungen aus der Kollegenschaft waren schnell und vielfältig. Alexander Pfeiffer etwa bot "Bleichstraßenpoesie" an, Leila Emani ein Papageien-Märchen,
Richard Lifka die Geschichte eines Wiesbadener Unikums und Rita Rosen ein Haibun (Erzählskizze mit Haiku). Zu kostbar für nur ein E-Book. Und also nutzte Professorin Rita Rosen ihre Verbindung zu ihrer früheren Hochschule Rhein-Main: Gregor Krisztian, Kollege aus dem Designer-Fach, wurde für die Gestaltung eines gedruckten Buches gewonnen. So leicht die Geschichten, so fein die Form, in der sie im Wiesbadener Kommunal- und Schul-Verlag nun vorliegen.

Professor Krisztian hatte sich vom "schönen Stoff" und den abwechslungsreichen Geschichten inspirieren lassen und eine dazu passende Gestaltung entworfen: schmaler Satzspiegel, originelle Anordnung der Seitenziffern, gestürzte Namen der Autoren/innen und ganzseitige Bilder. "Ich fotografiere immer," sagt der Hochschullehrer, ist mit den Geschichten aber noch einmal spazieren gegangen und hat vornehmlich Natureindrücke festgehalten. In gebrochenem Grünton, oder auch nato-oliv - wie ein Filter der ruhigen Eleganz, beschreiben die Autorinnen das professionelle Outfit ihrer Anthologie. Es wirkt bewusst nostalgisch, zauberhaft, wie aus einer anderen Zeit, sagen sie. Und der Designer umgekehrt ist vor allem angetan von den lyrischen Stücken, die im Band versammelt sind, weil ihre Bildsprache Platz lässt für die eigene Fantasie.
Die Schreibenden hatten ihre vorher losgeschickt - an den Schiersteiner Hafen, in den Biebricher Schlosspark, in den Warmen Damm, ins Westend-Café, ins Museum ... "Autorinnen und Autoren entdecken ihre Stadt" lautet der Übertitel auf dem Cover, auf dem die Mosburg (Foto: Stanislaw Chomicki) abgebildet ist. Bürgermeister Holger Goßmann zeigt sich erfreut über die Wiesbadener Kooperation und hat ein Grußwort geschrieben. Jetzt brauchen die "sommerlich angenehm leichten Geschichten" (Susanne Kronenberg) nur noch ihre klimatische Entsprechung - vielleicht am Samstag, wenn sie in der Villa Schnitzler gelesen werden. Krisztians drei Meter hohes Cover-Banner wird mit dabei sein.

Wiesbadener Kurier Stadtausgabe vom 24.06.2015, Seite 20
Von Viola Bolduan