Kleines Rotes auf Schwarz

RINGLESUNG "Mord-Spektakel" mit 14 lokalen und regionalen Krimiautorinnen und -autoren

WIESBADEN . Eine schwarze Hose im Schrank hat jede/r - ob Mann oder Frau. Insofern war die Kleiderordnung für die 14 Personen, die am Abend der Ring-Lesung im Literaturhaus auftraten, leicht zu bewältigen. Schwieriger dann schon das rote Accessoire, das auf dunklem Kleidungsgrund zur Erkennung der Syndikat-Autorinnen und -Autoren beitragen sollte. Schal, Krawatte, Einstecktuch, Nagellack und Lippenstift. Am 8. Dezember begehen die Krimischreibenden, eben auch die aus Wiesbaden und Umgebung, den Tag ihres Gedenkens an den Begründer des Genres Friedrich Glauser.
2014 12 08 Gruppenbild Villa Clementine Krimitag
Appetithappen Doris Gercke
Im Literaturhaus tun sie das aus dem Kreis von Dostojewskis Erben, der seit vier Jahren mit seinem "Mord-Spektakel" für die Zeitungs-Benefiz-Aktion "ihnen leuchtet ein Licht" alle Räume auf der Beletage füllt. "Zwei, drei Plätze sind noch frei". Kaum hat Moderator Richard Lifka sie im Roten Salon zum Auftakt entdeckt, muss er schnell einräumen: "Man kann gerne auch stehen", während die derzeitige Wiesbadener Krimi-Stipendiatin Doris Gercke den Auftakt macht. Die Autorin ist der "Appetithappen" zum Abschluss des Programms des diesjährigen Wiesbadener Krimiherbstes, während dessen sie auch ihren eigenen Auftritt hatte (wir berichteten).
Das Originelle dieser Ring-Lesung: Nach der Vollversammlung bei Doris Gercke im Roten Salon teilt sich das Publikum auf drei Säle, in den kurzen Pausen zwischendurch klumpt es sich auch vor einem reichhaltigen Büchertisch oder dem Getränkevorrat im Café. Der flämische Saal im hinteren Café-Bereich ist am Abend ebenso Lese-Saal wie der benachbarte Gelbe und Rote Salon.
Zug durch die Räume
Um alle 14 Lesestücke mitzubekommen, geht es also im halbstündigen Wechsel von dem einen in den anderen Raum. Für die Aktiven bedeutet es die dreimalige Wiederholung ihrer jeweiligen Lesestücke. Beim jeweils letzten Mal soll es am Lockersten zugegangen sein. Und jede/r hatte die Chance, eine dieser Finissagen mitzuerleben, bevor ganz zum Schluss aus der Lostrommel Bücher gezogen werden konnten.
In ihrer jeweiligen Selbstorganisation wählten die drei Krimi-Abschnitts-Lesegruppen eben auch ganz unterschiedliche Themen. Drei Männer (Karsten Eichner, Johannes Frumen und Bernd Köstering) waren mutig genug, neben Belinda Vogt "Mit den Augen der Frau" zu schauen (und vorher auch so zu schreiben); "very british" und filmisch inszenierte sich das "Kino kriminale" mit Alexander Pfeiffer, Richard Lifka und dem Duo Eva Lirot/Hughes Schlueter; und "Verfolgungsjagden" wagten im Café Susanne Kronenberg, Christiane Geldmacher, Fenna Williams, Leila Emami und Jürgen Heimbach.
Unterschiedliche Stile und Stimmlagen bringen Abwechslung, liebevoll arrangierter Dekor (Kerzen-Promenade auf rotem Samttuch im Café!) sorgt für mehr heimelige denn unheimliche Atmosphäre, Wiedererkennbarkeit von Themen und Szenen ist gewollt, denn alle lesen aus bereits veröffentlichten Krimis in Sammelband oder Buch. Die Spannbreite ist groß - auch wenn es nur Spannungsspritzer sind, die auf diese Weise das Publikum erreichen. Die ansteckende Wirkung liegt in der Kurzweiligkeit des gesamten Spektakels.
Wiesbadener Kurier vom 10.12.2014, Seite 21
Von Viola Bolduan

Krimi-Autor mit Anrecht auf Einzelzelle

 

RHEINGAU-LITERATUR-FESTIVAL Ulrich Wickert zu Gast auf Schloss Johannisberg / Lesung aus "Das marokkanische Mädchen"

So sehr der Moderator Heiner Boehncke auch insistierte, endlich mal einen Hamburg-Krimi von Ulrich Wickert lesen zu dürfen, blieb der Autor dabei: Seine Kriminalromane sind in Frankreich angesiedelt und werden es weiterhin sein. Genauer gesagt: Paris. Warum auch nicht. Lebte der Gast beim diesjährigen Rheingau Literatur Festival nicht nur viele Jahre in Paris, leitete lange Zeit das Pariser ARD-Studio, gilt als ausgesprochener Frankreichkenner und erhielt 2005 den Titel "Offizier der französischen Ehrenlegion". "Was den Vorteil hat, wenn ich mal ins Gefängnis muss, das Anrecht auf eine Einzelzelle zu haben und mir mein Essen aus einem Restaurant bringen lassen kann", so Wickert über diese Auszeichnung.
Ulrich Wickert
Aber es sprächen noch weitere Gründe für den Handlungsort Paris. So sei die Kriminalität in Deutschland eher mittelmäßig im Vergleich zu Italien mit seiner Mafia und Frankreich mit seiner korrupten Regierung. Außerdem gäbe es die Position des Untersuchungsrichters, der uneingeschränkt ermitteln kann. Dies sei für ihn der Ausschlag für seinen Protagonisten Jacques Ricou gewesen. Natürlich konnte die Chance, einen derartigen Kenner unseres westlichen Nachbarn nicht ungenutzt bleiben, um ihn nicht nach den aktuellen Beziehungsproblemen zwischen den beiden Ländern zu befragen. Eine halbe Stunde lang stand der ehemalige Tagesthemen-Moderator Rede und Antwort, bevor er aus seinem neuen Roman "Das marokkanische Mädchen" vorlas. Fünf Abschnitte bekamen die Zuhörer im voll besetzten "Fürst-von-Metternich-Saal" zu hören. Fünf Abschnitte, die mit einer Überschrift eingeleitet und jeweils aus einer anderen Perspektive erzählt werden. Da gibt es einen Auftragskiller, einen französischen und englischen Radrennfahrer und einen marokkanischen Kleinkriminellen, der mit Freund, Ehefrau und Tochter unterwegs zu einem Deal ist. Schnell ist klar, worauf das hinauslaufen wird. Bevor die gefesselt zuhörenden Besucher in die Pause gingen, wurden sie Zeugen eines vierfachen Mordes.
Auch im zweiten Teil des Abends ging es wieder um Frankreich. Zur Diskussion stand die unterschiedliche Interpretation des Begriffes Kultur in den beiden Ländern, festgemacht an der Auffassung von Kultur und Zivilisation. Wickerts klare Aussage dazu: "Ein zivilisierter Mensch ist mir wesentlich lieber als ein kultivierter." Was dann die Überleitung zu Jacques Ricou bildete, dem Genussmenschen und der Hauptfigur aller fünf Kriminalromane.
Spannende Fragen
Die zweite Textpassage, die Wickert las, stellte den Protagonisten vor, beschrieb ihn bei seinem allmorgendlichen Ritual: Im Lieblingsbistro Zeitung lesen, dabei ein oder zwei noch warme Croissants in den Café au Lait tunken. Wem da nicht sehnsüchtige Bilder in den Kopf kamen? Noch stundenlang hätte man Wickert zuhören können, hätte ihm viele Fragen stellen und vor allem wissen wollen, wie die Kriminalgeschichte sich fortentwickelt. Für Fragen war keine Zeit mehr. Wie es mit dem versteckten marokkanischen Mädchen weitergeht, kann und sollte jeder selbst lesen. Garantiert eine informative und spannende Unterhaltung.

Wiesbadener Kurier Rheingau vom 26.09.2014, Seite 22